Prostitutionsdebatte – Sie wollen alle nur das eine
Politiker fordern Null-Toleranz gegen Prostitution. Auch in NRW wurde ein härterer Kurs verlangt. Doch nun formiert sich eine überraschend große Koalition für legale, aber kontrollierte Prostitution.
Ein "gottverlassenes Land" sei die Bundesrepublik in Sachen Prostitution, so seufzte Alice Schwarzer kürzlich. Hierzulande gebe es doch kaum mehr Kritiker des Systems Prostitution. "Nicht einmal die christlichen Parteien" fänden "Frauenkauf noch menschenunwürdig" , so klagte die Grande Dame des deutschen Feminismus. Von SPD und Grünen erwarte sie ohnehin nichts mehr, deren Politik sei längst " von den Zuhälterlobbies inspiriert". Aber auch die Union habe sich herzlosem Pragmatismus ergeben – und offenbar Frieden mit der Prostitution geschlossen.
Diese Woche durfte Frau Schwarzer wieder Hoffnung schöpfen. Jedenfalls kurzzeitig. Zunächst ließ eine Nachricht aus Frankreich aufhorchen: Die dortige Frauenministerin will fortan Zuhälter und Freier (nicht aber Prostituierte) strafrechtlich verfolgen. Wann den Worten Taten folgen, ist zwar unklar – aber: Damit schwenkt ein weiteres linksregiertes EU-Land auf den Kurs einer Null-Toleranz-Politik gegenüber Prostitution um.
Und plötzlich schien sich auch in NRW, diesem Bollwerk der Prostitutionsförderung, etwas zu bewegen: Aus der CDU-Fraktion wurde gehöhnt, Rot-Grün verschlafe den EU-weiten Gesinnungswandel. SPD und Grüne müssten auch endlich Konsequenzen ziehen aus den jüngsten Skandalen um die Bordelle der rheinischen Rotlichtgröße Bert Wollersheim. Gegen dessen – vermeintlich vorbildliche – Etablissements wird wegen schweren Raubs, bandenmäßigen Diebstahls, Erpressung und gefährlicher Körperverletzung ermittelt.
Niederlande liebäugeln mit "schwedischem Modell"
Wittert Alice Schwarzer seit dieser Woche also Morgenluft? Beim Blick über die deutschen Grenzen wohl schon. Immerhin reiht sich mit Frankreich ein EU-Schwergewicht in die Riege der Prostitutionsbekämpfer ein – nach Schweden, Norwegen und Island. Dort werden Zuhälter und Freier verfolgt, die Prostituierten dagegen nicht. So wird den Frauen nicht geschadet, der käufliche Sex aber bekämpft.
Auch in den Niederlanden, einst Vorreiter der Prostitutionslegalisierung, wird zunehmend geschimpft, die vor über einem Jahrzehnt eingeleitete Legalisierung sei ein Irrweg gewesen, trotz aller Kontrollen habe sie die Kriminalität im Rotlichtmilieu sogar noch gesteigert.
Anders in Schweden: Dort brach der Menschenhandel rund um die Prostitution fast ein. Das geht zumindest aus einer Untersuchung im Auftrag des schwedischen Parlaments hervor. Der Bürgermeister von Amsterdam forderte daher jüngst auch für sein Land das "schwedische Modell", weil der kriminellen Energie rund um den käuflichen Sex mit Liberalisierung nicht beizukommen sei.
Menschenhandel floriert
Auch eine Untersuchung im Auftrag der französischen Nationalversammlung konstatierte, Menschenhandel blühe dort, wo käuflicher Sex legalisiert wurde. Bemerkenswert: Meist sind es rote oder grüne Politiker, die diesen Null-Toleranz-Kurs vorantreiben.
Das dürfte deutsche Frauenrechtlerinnen freuen, die wie Frau Schwarzer mit dem schwedischen Modell liebäugeln. Allein: Hierzulande bleibt vorläufig alles beim Alten. Prostitution ist seit 2002 nicht mehr sittenwidrig und illegal. Seitdem werden Bordelle als ordentliche Betriebe und Huren als sozialversicherte Arbeitskräfte anerkannt. Zugleich fallen damit grundsätzlich zahlreiche bau- und gewerberechtliche Hürden weg, die den Bordellen, Saunaclubs und Mietshaushuren bis dato das Leben erschwerten.
Kommunen auf Kurs bringen
Auch das rot-grün regierte NRW geriert sich weiter als bundesweiter Vorkämpfer für ein komfortableres Prostituiertenleben: Es streitet dafür, dass diese meist kommunalrechtlichen Hürden nicht mehr nur grundsätzlich, sondern auch faktisch fallen. Denn noch immer gibt es widerwillige Kommunalbeamte, die Bordelle nicht als Betriebe anerkennen möchten und den Rotlichtunternehmern mit allerlei rechtlichen Finessen das Leben schwer machen.
Diese Kommunen auf prostitutionsfreundlichen Kurs zu bringen ist Ziel der Landesregierung. Dahinter stehen die Hoffnungen, die einst auch die niederländische Politik bewegten: Erstens sei eine vollständig legalisierte Rotlichtbranche leichter zu kontrollieren. Zweitens könne man die erzwungene von der freiwilligen Sexarbeit dann besser unterscheiden.
Politik unterstützt freiwillige Sexarbeit
Im zuständigen Frauenministerium der Grünen Barbara Steffens betont man aber, keineswegs naiv zu sein. Natürlich halte man das Rotlichtmilieu für kriminalitätsaffin und natürlich sei die Situation seit der Reform von 2002 nicht grundlegend besser geworden. Nur sei der Schluss falsch, deshalb die Legalisierungspolitik zu verwerfen. Im Gegenteil: Umso konsequenter müssten deren Möglichkeiten vor Ort genutzt werden.
Außerdem beteuert die Ministerin, sie wolle selbstverständlich nur freiwillige Sexarbeit unterstützen. Kriterien dafür, "wie freiwillige Prostitution vom Zwang zur Prostitution tatsächlich unterschieden werden kann", suche das Ministerium derzeit in Zusammenarbeit mit Experten und Verbänden.
Dieser Glaube an freiwillige Prostitution treibt bisweilen erstaunliche Blüten. So förderte das Frauministerium mit Steuergeld offenbar indirekt die Anwerbung von Prostituierten. Allein vergangenes Jahr bezuschusste es die Bochumer Prostituiertenorganisation Madonna mit 168.000 Euro. Madonna wirbt offensiv für die Arbeit als Hure und bietet neben der Ausstiegsberatung auch "Einstiegsberatung" für Frauen an, die es mal ausprobieren wollen.
Bis zu 75 Prozent können nur unter Drogen anschaffen
Diese behauptete Freiwilligkeit halten viele deutsche Frauenorganisationen (und maßgebliche Politiker Frankreichs oder Schwedens) indes weitgehend für eine Schimäre, wenn nicht gar für Zynismus. Bei aller Unvollständigkeit der Datenlage sehen sie einige Befunde doch als evident an: Zwischen 30 und 70 Prozent (je nach Studie) der hiesigen Prostituierten sind illegal in Deutschland. Sie sind vollkommen abhängig von ihren Zuhältern – ob Prostitution nun erlaubt ist oder nicht.
40 bis 75 Prozent der Huren brauchen während des " Anschaffens" Alkohol und andere Drogen, um ihre "Arbeit" verrichten zu können (laut der "European Women's Lobby" EWL). Mindestens ein Drittel schafft laut Bundesfamilienministerium nur an, um die Sucht zu finanzieren. Und über 90 Prozent würden gemäß EWL sofort aussteigen, wenn sie könnten.
Zudem mahnen Feministinnen wie Alice Schwarzer, zwei von drei anschaffenden Frauen seien als Kinder missbraucht worden. Laut mehreren Studien wurde obendrein eine große Mehrheit der Frauen massiv traumatisiert, etwa durch Vergewaltigung, bevor sie sich angeblich "frei und selbstbestimmt" für diese Arbeit entschieden.
Union fordert Razzienoffensive
Wenigstens die Union schien in NRW zuletzt aber auf Distanz zum rot-grünen Kurs zu gehen. Jedenfalls erweckten mehrere Christdemokraten nach den Bordell-Razzien vergangener Wochen diesen Eindruck – und gaben damit Frauenrechtlerinnen ein Fünkchen Hoffnung zurück. Auch aktuell müht sich die NRW-CDU um einen eigenen Akzent in der Prostitutionsdebatte.
So fordert Frauenpolitikerin Regina van Dinther nun vom Innenministerium eine "Kontroll- und Razzienstrategie für die Rotlichtszene". Um die Kriminalität rund ums Gewerbe einzudämmen, müssten "Bordellbetreiber fortan permanent mit Razzien und unangemeldeten Kontrollen rechnen". Ohne verstärkte Repression werde sich die Kriminalität in der Szene nicht eingrenzen lassen.
Dass eine solche Razzienoffensive zentral vom Land und nicht dezentral von jeder einzelnen Kommune organisiert werde, sei dabei unerlässlich. Ein Landespolizeiminister mit rund 50.000 Polizisten sei nicht so leicht durch örtliche Bordellbetreiber einzuschüchtern – anders als der Leiter eines städtischen Ordnungsamts.
Grundsätzliche Legalität des Gewerbes bleibt
In der Grundsatzfrage sind sich Regierung und Opposition aber näher als es scheint. Auch die CDU lehnt das schwedische Modell als nicht praktikabel und unrealistisch ab. Zwar sahen die Frauen in der NRW-CDU das lange Zeit anders. Auch unter Druck der Bundespartei schwenkten sie aber um auf einen Kurs der streng kontrollierten Prostitutionslegalisierung.
Denn im Bund deutet sich eine denkbare künftige Reform des Prostitutionsrechts an: Die grundsätzliche Legalität des Gewerbes bleibt – im Gegenzug werden die Möglichkeiten zu intensiver Kontrolle ausgeweitet.
Koalition der Mythenpfleger
De facto verfolgen diese Linie aber auch SPD und Grüne. So setzte die grüne NRW-Frauenministerin jüngst einen Beschluss aller Landesfrauen- und Landesgesundheitsminister durch, der vom Bund eine schärfere Regulierung des Rotlichtmilieus verlangt. Was sich da abzeichnet, ist also eine schwarz-rot-grüne Koalition, die die illegale und nicht freiwillige Prostitution bekämpft, um die legale und vermeintlich freiwillige zu stärken.
Feministinnen allerdings sehen da eine riesengroße Koalition der Mythenpfleger nahen, die mit einer Fiktion arbeite: mit der Annahme, es gebe zahlreiche Frauen, die sich wirklich selbstbestimmt und aus freien Stücken für den Verkauf ihres Körpers an täglich zahllose Männer entschieden hätten. Sieht ganz so aus, als werde Deutschland für Frau Schwarzer noch länger ein "gottverlassenes Land" bleiben.
Quelle: http://www.welt.de/regionales/duesseldorf/article108473787/Prostitutionsdebatte-Sie-wollen-alle-nur-das-eine.html
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