„Zwangsprostitution“ als politischer Kampfbegriff
Vortrag von Juanita Rosina Henning im BDP-Infoladen Paderborn, 12. Januar 2012
Ich bedanke mich für die Einladung zum Thema des heutigen Abends „Wem nützt der Kampf gegen Zwangsprostitution?“
Die scheinbar nahe liegende Antwort auf diese Frage könnte lauten: Natürlich den von Zwangsprostitution betroffenen selbst. Wie aber so oft im Leben ist das Naheliegende nicht immer auch das Zutreffende.
Die Position, die ich vertrete und hier zur Diskussion stelle, möchte ich gleich in aller Deutlichkeit formulieren:
Die Rede von „Zwangsprostitution“ verbindet die herkömmliche Prostitutionsbekämpfung, wie wir sie seit Jahrhunderten kennen, mit einer Migrationsabwehr des relativ reichen Nordens gegenüber dem ärmeren Süden seit Beginn der 90er Jahre. Diese Migrationsabwehr richtet sich insbesondere gegen die Feminisierung von Migration. Insofern steht der Begriff „Zwangsprostitution“ für ein modernes Phänomen, für eine Modernisierung der Prostitutionsgegnerschaft als auch der Migrationsbekämpfung.
1. Alle gegen „Zwangsprostitution“ - eine Selbstverständlichkeit?
Warum sind eigentlich alle in diesem Land – auch wenn sie die Arbeitsbedingungen in der Prostitution nicht wirklich kennen – spontan Gegner so genannter „Zwangsprostitution“? Warum erscheint der damit bezeichnete Sachverhalt unhinterfragt als „Selbstverständlichkeit“?
Sicherlich: Das emotionalisierende Wortgeschöpf „Zwangsprostitution“ gibt der Phantasie breiten Raum. Wer ist schon für Zwang? Niemand. Wer also gegen Zwang ist - mithin wir alle -, sollte also kein Problem haben, sich auch gegen „Zwangsprostitution“ auszusprechen. So die vordergründige Logik.
Begünstigend kommt hinzu, dass es sich nicht erkennbar um einen politischen Kampfbegriff handelt, in den jeder mehr oder weniger hineindeuten darf, was ihm beliebt.
Prostitution glaubt jeder zu verstehen: das ist „Sex gegen Geld“. Und „Zwang“ in diesem Kontext ist formal gesehen nichts anderes, als nicht frei und selbstbestimmt entscheiden zu können, wie und mit wem man nicht-reproduktiven, kommerziellen Sex hat.
Wenn dem so ist, liegt eine Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung vor, mithin eine Verletzung von Menschenrechten. Wer gegen die Verletzung von Menschenrechten ist, dürfte folglich auch kein Problem damit haben, gegen „Zwangsprostitution“ zu sein.
Wer heutzutage über Prostitution spricht, dem wird allenthalben abverlangt, sich erst einmal eindeutig von „Zwangsprostitution“ zu distanzieren. Das ist political correct. Zweifel scheinen unangebracht, solange man - wie bisher - nur formal, nicht aber inhaltlich darüber spricht, was hierzulande eigentlich unter „Zwang“ in der Prostitution verstanden wird. Werden wir also inhaltlich!
2. Prostitution als wirtschaftliche Betätigung und Beruf
Was ist Prostitution? Auf der Oberfläche ist sie „Sex gegen Geld“. Zugrunde liegt diesem Austausch - historisch betrachtet - aber ein tiefgreifender Bruch mit einer gesellschaftlichen Norm der bürgerlichen Gesellschaft seit dem frühen Mittelalter. Als Norm gilt die „Einheit von Sexualität und Liebe“, ob nun in der lebenslangen monogamen Ehe - dem christlichen Ideal - oder heutzutage in aufeinander folgenden Paarbeziehungen, die als „serielle Monogamie“ bezeichnet wird.
Professionelle Prostitution aber trennt zwischen Sexualität und Liebe. Das ist das eigentliche Charakteristikum der Prostitution, und das macht ihren Normbruch aus. Deshalb wird sie gesellschaftlich geächtet.
Das Geschäft dieser Ächtung betrieben vornehmlich die christlichen Kirchen. Staatliche Regulierung trat in dem Maße hinzu, wie die Geldverhältnisse die Naturalwirtschaft in den Hintergrund drängten und Prostitution auf einem immer größeren, zunehmend sichtbaren Maßstab betrieben wurde. Im 20. Jahrhundert etablierte sich prostitutive Tätigkeit endgültig als Teil des Wirtschaftslebens, als spezifische „sexuelle Dienstleistung“. Sie ließ sich nicht länger als abartige Verirrung Einzelner marginalisieren.
3. Das ProstG: Fauler Kompromiss und Pendant zu einem Sonderstrafrecht gegen Prostitution
Rechtlichen Niederschlag fand dieser Entwicklungsprozess im Prostitutionsgesetz der rot-grünen Koalition von 2002. Man anerkannte Prostitution als Beruf – ABER: natürlich sei Prostitution „kein Beruf wie jeder andere“!
2007 schrieb die schwarz-rote Bundesregierung in einem „Bericht“ zur Evaluation des ProstG: „Die Prostitution fällt daher heute wie jede andere auf Dauer angelegte Tätigkeit zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage unter die Garantie des Art. 12 Abs. 1 GG.“
Dieser Artikel regelt die „Freiheit der Berufswahl“ und lautet: „Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.“ Das ist Satz 1. Man merke sich aber auch Satz 2: „Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden“.
Letzteres interessiert uns. Denn der Gesetzgeber macht davon hinsichtlich der Prostitution, reichlich Gebrauch. Und zwar derart, dass die versprochene Anerkennung von Prostitution als Beruf zu einem Lippenbekenntnis verkommt und durch die Hintertür regulierender Gesetzesbestimmungen systematisch ausgehöhlt wird.
Allein im Straf- und Ordnungsrecht erfolgt in 9 speziellen Paragrafen eine diskriminierende Sonderbehandlung von Prostitution, die von einer erheblichen Regelungsdichte zeugen:
(1) §180a StGB Ausbeutung von Prostituierten (2) §181a StGB Zuhälterei + §181b Führungsaufsicht ( bezogen auf §181a) (3) §181c StGB Vermögensstrafe und Erweiterter Verfall (bezogen auf §181a) (4) § 184d StGB Ausübung der verbotenen Prostitution (5) § 184e StGB Jugendgefährdende Prostitution (6) § 232 StGB Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung (7) § 233a StGB Förderung des Menschenhandels (bezogen auf § 232) (8) Art. 297 EGStGB Verbot der Prostitution / Sperrgebietsverordnungen (9) § 119 / §120 OWiG Grob anstößige und belästigende Handlungen; Verbotene Ausübung der Prostitution; Werbung für Prostitution
Dazu kommen:
- Spezialregelungen in 8 Landespolizeigesetzen - eine diskriminierende Regelung in § 55 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz - auf Länderebene noch Durchführungsverordnungen zu Art. 297 EGStGB, die die freie Berufsausübung diskriminieren - sowie die auf kommunaler Ebene geltende Sperrgebietsverordnungen - es gibt die Reglementierung von Straßenprostitution gemäß städtischen Satzungen - die Reglementierung der Arbeitsvermittlung durch die Bundesagentur für Arbeit - sowie Spezialparagrafen im Infektionsschutzgesetz zur Durchsetzung potenzieller Berufsverbote.
Die Bundesregierung machte gar kein Geheimnis daraus, dass sie Prostitution rechtlich und damit auch ökonomisch diskriminieren will. So ließ Frau von der Leyen 2007 in den Bericht zur Evaluation des ProstG folgenden denkwürdigen Satz hineinschreiben: „Das Gebot der staatlichen Zurückhaltung in weltanschaulichen Fragen bedeutet jedoch andererseits nicht, dass Prostitution von staatlicher Seite als erwünschte Form wirtschaftlicher Betätigung und in jeder Hinsicht neutral behandelt werden muss.“
Diese offene Kampfansage, dass man nämlich auf die Neutralität des Staates pfeift, wenn es gegen Frauen in der Prostitution geht, findet seinen Niederschlag in den staatlich geförderten Kampagnen gegen die so genannte „Zwangsprostitution“. Deswegen ist es wichtig sich damit auseinanderzusetzen.
Mir geht es zunächst einmal um die grundlegenden Denkmuster, die hinter der Bekämpfung von „Zwangsprostitution“ stehen. Nur wenn man diese durchschaut, kann man verstehen, warum die Rede von Zwangsprostitution scheinbar so überzeugend daherkommt, warum viele Menschen sich wie selbstverständlich von dieser Strategie einwickeln und einbinden lassen.
4. Einbindung in die Polarität von „Freiwilligkeit“ und „Zwang“ – eine gezielte Sonderbehandlung der Prostitution
Das ProstG sollte die wirtschaftliche Betätigung von Frauen in der Prostitution rechtlich regeln. Aber - und hier kommt ein ganz ungewöhn-licher Vorbehalt - nur die FREIWILLIGE Prostitutionsausübung!
So kann man in der Begründung des ProstG nachlesen – ich zitiere: „Eine Klarstellung ist dahin gehend notwendig, Prostituierten, die freiwillig ihre Tätigkeit anbieten, rechtlich Schutz zu gewähren.“
Auf den ersten Blick scheint diese Aussage eine Selbstverständlichkeit zu sein. Aber es ist das genaue Gegenteil. Jedes Gesetz eines Staates, der von sich behauptet, ein Rechtsstaat zu sein, gewährt selbstverständlich keinen rechtlichen Schutz für erzwungene Handlungen. Nirgends bedarf es daher einer besonderen Hervorhebung der „Freiwilligkeit“ jener Vorgänge, die rechtlich geregelt werden. Warum aber geschieht das bei der Prostitution?
Man stelle sich vor, was wäre, wenn es für andere Gesetze einen solchen Vorbehalt gäbe. Zum Beispiel das Mutterschutzgesetz: Würde es in der Begründung des Mutterschutzgesetzes heißen, nur jene Frauen, die freiwillig und selbstbestimmt schwanger geworden seien, würden von dessen Regelungen profitieren, so würde das einen Aufschrei der Empörung zur Folge haben: Wie kann der Staat sich anmaßen, über die Freiwilligkeit einer vollendeten Schwangerschaft, also der Mutterschaft, zu befinden?
Ein gleichlautender Vorbehalt im Prostitutionsgesetz löst keine Verwunderung aus. Im Gegenteil, er wird allseits mit großer Befriedigung und Genugtuung zur Kenntnis genommen.
Gleichwohl lässt sich einwenden: Die ach so großzügig daher kommende besondere Betonung der „Freiwilligkeit“ ist nur das Pendant zur Annahme, dass in der Prostitution - und zwar exklusiv in der Prostitution! - Zwangsverhältnisse bestehen. Ansonsten würde der Vorbehalt der „Freiwilligkeit“ gar keinen Sinn machen.
Die vom Gesetzgeber vorgenommene „Klarstellung“ hinsichtlich der Freiwilligkeit von Prostitution, die Einbindung ihrer rechtlichen Regelung in die Polarität „Freiwilligkeit/Zwang“ ist nicht etwa ein Beleg für die besondere Sensibilität des Gesetzgebers gegenüber einer besonders verletzlichen sozialen Gruppe, sondern vielmehr das genaue Gegenteil: eine die Prostitutionstätigkeit in besonderer Weise markierende, sie ausgrenzende und diskriminierende Sonderbehandlung, die ausschließlich dieser und keiner anderen beruflichen Tätigkeit widerfährt. Dieses sachlich unangemessene und interessegeleitete Grundkonzept liegt dem ProstG zugrunde, weshalb es aus unserer Sicht nicht als Rahmen für die Legalisierung von Prostitution taugt.
Das alles müsste zu denken geben. Die in der Hervorhebung der Freiwilligkeit zum Ausdruck kommende Sonderbehandlung von Prostitution ist der Hintergrund dafür, dass die politische Öffentlichkeit sich in regelmäßigen Abständen über „Zwangsprostitution“ und „Zwangsprostituierte“ erregt. Hat man jemals erlebt, dass von „Zwangsmetzgern“, „Zwangsbäckern“, von „Zwangsverkäuferinnen“ oder „Zwangsbankern“ die Rede ist?
Ich formuliere an dieser Stelle eine These: Bei sämtlichen wirtschaftlichen Betätigungen, die als Berufe anerkannt sind, werden selbstverständlich keine berufsspezifischen Zwänge angenommen. Niemand spricht von „Zwangsautomechanikern“. Die Rede von „Zwangsprostitution“ dagegen ist Ausdruck der Tatsache, dass Prostitution in dieser Gesellschaft nicht wirklich als „wirtschaftliche Betätigung“, nicht wirklich als Ausübung eines „Berufs“ anerkannt wird.
Um zu prüfen, ob diese These zutrifft, müssen wir genauer schauen, welcher Art der „Zwang“ sein soll, den man bei Prostitution unterstellt.
5. Freiwilligkeit im Gegensatz zu Zwang, nicht aber zu Notwendigkeit
Dazu ist es wichtig, sich einige Gedanken über das grundlegende Verhältnis von „Notwendigkeit“, „Zwang“ und „Freiwilligkeit“ zu machen.
Gemeinhin stehen „Freiheit“ bzw. „Freiwilligkeit“ im Gegensatz zu „Zwang“, nicht aber im Gegensatz zur „Notwendigkeit“. Will sagen: Notwendigkeit und Zwang sind zwei ganz unterschiedliche Dinge, die nicht verwechselt werden dürfen.
Lassen Sie mich das am Beispiel der Schulpflicht erläutern:
- Der Schulbesuch gilt allgemein als notwendig, da er uns Spielräume eröffnet für spätere Entscheidungs- und Handlungsfreiheit. Zu Recht spricht man deshalb auch von Schulpflicht, nicht aber von Schulzwang. Würde jemand die Notwendigkeit schulischer Bildung als ungehörigen Zwang bzw. die Schulpflicht als Beeinträchtigung seiner Freiwilligkeit missverstehen und deshalb der Schule fernbleiben, so hätte dies mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Einschränkung der Entscheidungs- und Handlungsfreiheit in späteren Lebensphasen zur Folge. Die Missachtung der Schulpflicht würde man daher kaum als vernünftigen Ausdruck freiwilligen Handelns, sondern zu Recht als Ausdruck von Uneinsichtigkeit bewerten.
Das Beispiel zeigt: Schulpflicht und Freiwilligkeit stehen in keinem Gegensatz zueinander, denn schulische Bildung ist eine Notwendigkeit, nicht aber Zwang.
Nicht Freiheit und Notwendigkeit, wohl aber Freiheit und Zwang sind einander ausschließende Gegensätze!
Und noch eine weitere Schlussfolgerung lässt sich daraus ableiten: Wer „Notwendigkeit“ und „Zwang“ miteinander verwechselt bzw. beides einander gleichsetzt, der vergrößert nicht den Raum von Freiheit und Freiwilligkeit, sondern schränkt ihn ein.
Das zeigt sich auch, wenn man diesen Gedankengang am Beispiel der ökonomischen Reproduktion durch Arbeit bzw. berufliche Tätigkeit verdeutlicht:
Wirtschaftliche Betätigung in Form von Arbeit bzw. als Ausübung eines bestimmten Berufs ist ein notwendiges Mittel der ökonomischen Reproduktion des Einzelnen und damit seiner Existenzsicherheit. Schließen sich Freiwilligkeit und die Notwendigkeit der Arbeit gegenseitig aus? Keineswegs!
Würde man die ökonomische Reproduktion als „Zwang“ missverstehen und „Freiheit“ als Befreiung von jeglicher Arbeit, so würden alsbald die notwendigen Voraussetzungen der eigenen Reproduktion fehlen. Die Einschränkung der eigenen Freiheit, der eigenen Entscheidungs- und Handlungsspielräume, wäre konsequenterweise die Folge eines solchen Missverständnisses.
Sklavenarbeit, feudale Arbeit und Lohnarbeit sind Zwangssysteme der gesellschaftlichen Arbeit, die man abschaffen kann. Die Menschen können sich und die Arbeit zwar von spezifisch historischen Formen des Zwangs befreien, nicht aber die Abhängigkeit des Menschen von der Reproduktion durch Arbeit abschaffen. Diese bleibt eine Notwendigkeit.
Das eine ist Zwang, das andere Notwendigkeit. Beides ist nicht identisch. Wirtschaftliche Betätigung im Allgemeinen ist Ausdruck, ja sogar notwendige Verwirklichung unserer Freiheit, nicht aber eine Einschränkung derselben, nicht Zwang.
Und da bei jeder wirtschaftlichen Betätigung außer Frage steht, dass sie für den Einzelnen zwar bittere „Notwendigkeit“, nicht aber einen Zwang darstellt, erübrigt sich jede Erörterung von „Freiwilligkeit“ bzw. „Zwang“ im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Tätigkeiten. Eben deshalb käme kein Mensch auf die absurde Idee, eine Debatte über „Zwangstaxifahrer“ oder „Zwangsverkäuferinnen“ anzuzetteln. Solche Absurditäten leistet man sich nur im Hinblick auf Prostitution.
6. Bei Prostitution werden die Dinge auf den Kopf gestellt
Sobald es um Prostitution geht, werden die Dinge regelmäßig auf den Kopf gestellt. Von der allgemein geltenden Bewertung, dass ökonomische Reproduktion als Ausdruck von Notwendigkeit, nicht aber von Zwang gesehen wird, wird im Falle des rechtlichen und gesellschaftlichen Umgangs mit Prostitution systematisch abgewichen.
„Notwendigkeit“ und „Zwang“ werden im Falle von Prostitution bewusst vermischt und mit einander gleichgestellt – mit absehbar negativen Folgen für die tatsächlichen Freiheitsräume für prostitutive Betätigung. Das ist das Grundkonzept für die vom Staat zu verantwortende rechtliche Diskriminierung von Prostitution, die sich – jenseits des ProstG – vor allem im Strafrecht besichtigen lässt. Die diskriminierende Sonderbehandlung der Prostitution findet in den einschlägigen Bestimmungen des Strafrechts zu Prostitution ihre Fortsetzung.
Werfen wir - um das zu belegen - einen Blick auf die drei zentralen Strafrechtsparagrafen zu Prostitution: - § 180a (Ausbeutung von Prostituierten), - § 181 a (Zuhälterei) und - § 232 (Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung)
Sie verdeutlichen, wie die politisch herrschende Klasse „Zwang“ im Kontext von Prostitution meint definieren zu müssen und was dementsprechend als kläglicher Rest von „freiwilligen Tätigkeit“ in diesem Bereich obrigkeitsstaatlich zugestanden wird und übrig bleibt.
7. § 180a (Ausbeutung von Prostituierten)
Das geltende Strafrecht gibt vor, die „sexuelle Selbstbestimmung“ von Prostituierten zu schützen. Wer gegenüber Prostituierten Zwang ausübt, soll bestraft werden. Soweit die Theorie. Schauen wir aber mal genau hin, was da eigentlich als „Zwang“ definiert wird, vor dem man meint Prostituierte schützen zu müssen.
Der § 180 a StGB stellt die „Ausbeutung von Prostituierten“ unter Strafe. Das hört sich wunderbar an. Endlich geht der Staat mal gegen Ausbeutung vor! Aber halt! Was heißt hier eigentlich „Ausbeutung“? Ist damit – wie etwa bei Marx - die Produktion von Mehrwert für Kapitalisten gemeint? Keineswegs. „Ausbeutung“ im Kontext von Prostitution soll darin bestehen, dass die hier tätigen Frauen „in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten werden“ bzw. dass man sie „zur Prostitution anhält“.
Man reibt sich die Augen! Ist doch das „Halten in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit“ geradezu das klassische Kennzeichen eines jeden auf eine gewisse Dauer angelegten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Genau das, was nach § 1 ProstG den Frauen in der Prostitution zum Zwecke sozialer Absicherung zugestanden wurde und was in anderen wirtschaftlichen Betätigungsbereichen als normal angesehen wird, wird nun per Strafrecht exklusiv für Prostitution de facto kassiert.
„Persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit“ kennzeichnet jedes sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis. Das lernt jeder Jura-Student im ersten Semester. Was in anderen Berufen als wirtschaftliche „Notwendigkeit“ gilt und akzeptiert wird, wird im Bereich der Prostitution als „Zwangsverhältnis“ gedeutet.
Hier haben wir sie wieder: die unzulässige Gleichsetzung von Notwendigkeit und Zwang, exklusiv vorgenommen, wenn es um Prostitution geht. Die Folge: Einschränkung der Freiheit der Betroffenen, diskriminierendes Sonderrecht. Denn das Recht auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse in der Prostitution – in § 1 ProstG noch hoch und heilig versprochen - wird hier durch die Hintertür wieder kassiert.
Wird somit suggeriert, dass es sich bei wirtschaftlichen „Notwendigkeiten“ um „Zwang“ handelt, und werden durch strafrechtliche Konstruktion vermeintlich prostitutionsspezifische Zwangslagen geschaffen, so sichert sich der Staat die Legitimation zur Intervention. Angeblich um die Frauen vor derartigen „Zwangslagen“ zu schützen, in Wirklichkeit aber, um einen normalen Umgang mit Prostitution zu unterbinden. Durch eine derartige Konstruktion scheinbarer Zwänge wird dem Prostitutionsgewerbe Normalität vorenthalten oder anders formuliert: Die sich als Norm und normal einstufende bürgerliche Gesellschaft schützt sich weiterhin vor Prostitution.
Dass dies kein Ausrutscher ist, beweist der § 181 a StGB (Zuhälterei).
8. § 181a (Zuhälterei)
Auch hier wird ein originär wirtschaftlicher Sachverhalt, der jede wirtschaftliche Betätigung auszeichnet, in einen die sexuelle Selbstbestimmung von Prostituierten einschränkenden Zwang umgedeutet. Als strafbare Zuhälterei gilt - ich zitiere - , „wer… eine andere Person… seines Vermögensvorteils wegen… bei der Ausübung der Prostitution überwacht, Ort, Zeit, Ausmaß oder andere Umstände der Prostitutionsausübung bestimmt oder Maßnahmen trifft, die sie davon abhalten sollen, die Prostitution aufzugeben“.
In allen anderen Wirtschaftsbranchen ist es das ureigene Recht des Arbeitgebers, Ort, Zeit, Ausmaß oder andere Umstände der Tätigkeit zu bestimmen bzw. zu überwachen. Was in anderen Wirtschaftsbereichen eine Notwendigkeit ist – ohne ein solches Direktionsrecht würde kein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer einstellen – wird im Bereich der Prostitution dagegen als unzulässiger Zwang, als „Zuhälterei“ dargestellt.
Auch in diesem Fall haben wir es mit der strafrechtlichen Konstruktion einer Zwangslage zu tun, die angeblich prostitutionsspezifisch ist! – was mit dem Begriff der „Zuhälterei“ suggeriert werden soll. In Wirklichkeit handelt es sich aber um eine Kriminalisierung der Arbeitgeberfunktion im Bereich der Prostitution. „Zuhälterei“ ist nur die diskriminierende Bezeichnung für das wirtschaftliche Management von Prostitution.
Auch hier hat die interessiert betriebene Gleichsetzung der „Notwendigkeit“ von Direktion und Kontrolle mit dem als „Zwangsverhältnis“ beschriebenen Beschäftigungsverhältnis in der Prostitution – definiert als „Zuhälterei“ - die Einschränkung von Freiheiten und Rechte für die betroffenen Frauen zur Folge.
Denn auch hier wird deutlich, dass das in § 1 ProstG gewährte Recht auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse nur scheinbar eingeräumt wurde. De facto ist das Recht kassiert. Denn im Grunde genommen will man es nicht.
9. § 232 (Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung)
Dieselbe ausgrenzende und diskriminierende Logik liegt auch vor im Falle des § 232 StGB („Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung“). In diesem Fall wird als „Menschenhändler“ eingestuft und bestraft, wer eine andere Person - ich zitiere - „unter Ausnutzung einer Zwangslage oder der Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution…bringt“.
„Ausnutzung einer Zwangslage“ – das hört sich natürlich ganz übel an. Aber was könnte damit gemeint sein? Die Rechtsprechung versteht darunter zum Beispiel das Anbieten von Prostitutionstätigkeit an eine arbeitslose Person bzw. an eine Person, die sich aufgrund einer Ehescheidung in ökonomischen Schwierigkeiten befindet. Damit fände angeblich die Ausnutzung einer (ökonomischen) Zwangslage statt und macht sich die betreffende Person des „Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung“ schuldig.
Dass hier erneut ökonomische Notwendigkeiten des Einzelnen - nämlich die Notwendigkeit sich zu reproduzieren und sein Auskommen zu haben – mir nichts, dir nichts per Strafrecht in „Zwang“ umgedeutet wird, ist offenkundig.
Ganz deutlich wird hier: Von „Zwang“ und „Gewalt“ muss gar keine Rede sein, wenn von „Menschenhandel“ gesprochen wird. Auch wenn sich die betroffenen Frauen aus eigenem Entschluss, aus Einsicht in die Notwendigkeit der Reproduktion, und somit freiwillig zur Fortsetzung und Aufnahme einer Prostitutionstätigkeit bereitfinden, kann eine dritte Person, die sie hierbei unterstützt, des „Menschenhandels“ bezichtigt, angeklagt und verurteilt werden.
Hinzu kommt im § 232 StGB: Auch eine „auslandspezifische Hilflosigkeit“ konstituiert „Menschenhandel“, wenn eine Person hier in der Prostitution tätig ist, aber die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrscht oder das hiesige Rechtssystem nicht hinreichend kennt.
Erinnern wir uns: Die Anwerbung der so genannten „Gastarbeiter“ in den 50er und 60er Jahren galt selbstverständlich als eine wirtschaftliche Notwendigkeit – es ging ja nicht um Prostitution! Kenntnisse des Rechts oder der deutschen Sprache waren kein Thema. Geht es dagegen um die Migration in die Prostitution, so wird aus wirtschaftlicher Notwendigkeit – sei es auf Seiten der Frauen, sei es auf Seiten der Bordellbetreiber – plötzlich wieder Zwang, nämlich „Menschenhandel“.
Hier werden vermeintlich prostitutionsspezifische Zwangslagen im wahrsten Sinne des Wortes konstruiert, nur um eine Legitimation für eine fortgesetzte strafrechtliche Verfolgung im Prostitutionsgewerbe, um ein Recht auf Razzien in der Hand zu haben.
Das wird gänzlich offensichtlich, wenn wir Abs. 1 Satz 2 von § 232 StGB betrachten. Dort wird als „Menschenhandel“ bestraft, - ich zitiere - „wer eine Person unter einundzwanzig Jahren zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution… bringt“. Weder Zwang, noch Drohung, noch List oder Gewalt, weder „persönliche Zwangslage“, noch „auslandspezifische Hilflosigkeit“ muss hier im Spiel sein. Es reicht völlig aus, wenn eine Frau zwar volljährig, aber unter 21 ist, um denjenigen, der sie anwirbt oder anstellt, als „Menschenhändler“ abzustempeln und anzuklagen.
Faktisch handelt es sich um eine rechtliche Entmündigung volljähriger Frauen, die hier stattfindet: glattes Sonderstrafrecht zur rechtlichen Diskriminierung von Prostitutionstätigkeit.
Auch hier die Umdeutung (wirtschaftlicher) Notwendigkeit in (außerökonomischen) „Zwang“, mit der Folge einer Einschränkung von Freiheitsrechten, einer an Willkür grenzenden rechtlichen Diskriminierung von Personen im Prostitutionsgewerbe.
10. Zwischenbilanz zum Sonderstrafrecht gegen Prostitution
Die bislang genannten drei Paragrafen des Strafrechts sind – wie wir gesehen haben - nur ein kleiner Ausschnitt des repressiven Regelwerks gegen Prostitution. Der Gesetzgeber wollte generös erscheinen, als er sich mit dem ProstG schmückte und sich seitdem rühmt, die Bedingungen der „freiwilligen“ Prostitutionsausübung rechtlich geregelt zu haben.
Doch die Kehrseite der besonderen Betonung jener „Freiwilligkeit“ von Prostitutionstätigkeit ist die Überzeugung einer zutiefst von Zwängen geprägten Realität des Prostitutionsgewerbes. Deutlich wird das in der Existenz eines speziell auf die Prostitution bezogenen Sonderstrafrechts. Dieses Sonderstrafrecht ist nicht etwa ein Bruch mit der Logik des Prostitutionsgesetzes, sondern dessen notwendiges Pendant.
Die vom ProstG angeblich ermöglichte „freiwillige“ Prostitutionsausübung wird von den speziell auf Prostitution zugeschnittenen so genannten Schutzbestimmungen des Strafrechts massiv beeinträchtigt.
Halten wir diesbezüglich noch einmal die hier zugrunde liegenden Denkmuster fest:
- Im Unterschied zu anderen wirtschaftlichen Betätigungen und Berufsausübungen wird ausschließlich bei Prostitution durch die besondere Betonung des rechtlichen Schutzes freiwilliger Tätigkeit im ProstG nichts Geringeres behauptet als die Möglichkeit der Existenz einer parallel dazu existierenden erzwungenen Berufsausübung. Die strafrechtlichen Bestimmungen zu Prostitution bezeugen das.
- Im Kontext von Prostitution werden wirtschaftliche Notwendigkeiten, die aus den ökonomischen Verhältnissen resultierenden Zwänge, die das Verhalten eines jeden Einzelnen bedingen, auf eine Stufe gestellt mit strafwürdigem personellen Zwang, wo eine Person den Willen einer anderen Person bricht.
- Wer zum Zwecke der Ächtung von Prostitution glaubt, hier „Notwendigkeit“ und „Zwang“ unzulässiger Weise gleichsetzen zu müssen, hebt damit zugleich den sinnvollen Gegensatz von Zwang und Freiwilligkeit auf und ersetzt ihn unter der Hand durch die absurde Entgegensetzung von „Notwendigkeit“ und „Freiwilligkeit“. Das Fazit: Frauen, die aus wirtschaftlicher Not bzw. Notwendigkeit in die Prostitution gehen bzw. in die Prostitution migrieren, tun das damit per se unfreiwillig. Freiwilligkeit beginnt aus dieser Sicht erst jenseits von Notwendigkeit. Nur Frauen, die jenseits wirtschaftlicher Notwendigkeit der Prostitution nachgehen, beispielsweise aus Gründen der „Selbstverwirklichung“, können aus herrschender Sicht das Prädikat „freiwillig“ beanspruchen. So schreibt etwa die in Stuttgart lehrende Professorin Rahel Gugel in ihrer im vergangenen Jahr erschienen Dissertation zum ProstG: Erst wenn Prostitution „als eine erfüllende, die Selbstverwirklichung fördernde Berufsperspektive erscheint… wäre Prostitution nicht mehr Ausdruck einer geschlechtsspezifischen strukturellen Diskriminierung von Frauen.“ (Das Spannungsverhältnis zwischen Prostitutionsgesetz und Art. 3 II Grundgesetz, S. 226) Das ist nichts anderes als der gegen die Prostitution gewendete Wohlstandschauvinismus des reichen Nordens / Westens, der Prostitutionsmigrantinnen aus ärmeren Ländern als einer hohen „menschenrechtlichen“ Warte als Ausdruck von „Zwangsprostitution“ einstuft und die betreffenden Frauen gerne heimschickt oder abschiebt.
- Ergebnis ist die Einebnung der ursprünglich und zu Recht als gegensätzlich bestimmten Pole „Freiwilligkeit / Zwang“, sodass auch bei frei getroffenen Entscheidungen im Kontext von Prostitution ein Zwang unterstellt und die Legitimation für ein Sonderrecht zu jederzeitigen staatlichen Eingriffen in diesem Bereich suggeriert wird.
- Um den diskriminierenden Charakter dieses Verfahrens nicht deutlich werden zu lassen, versucht der Gesetzgeber den Eindruck zu erwecken, es ginge um die Bekämpfung jeglicher „Ausbeutung“ von Prostitution. Doch auch das ist diskriminierend. Keine andere Berufstätigkeit außer Prostitution wird im Strafrecht expressis verbis negativ mit „Ausbeutung“ in Verbindung gebracht. Es handelt sich um ein Verfahren der Sonderbehandlung, mittels der die Berufsgruppe der Prostituierten markiert, ausgrenzt und damit diskriminiert wird. „Ausbeutung“ als wirtschaftlicher Tatbestand gehört ohnehin nicht ins Strafrecht. Eine angemessene Regelung müsste im Arbeits- oder Gewerberecht erfolgen.
- Die auf Prostitution bezogenen strafrechtlichen Bestimmungen sind die passgenaue und notwendige Ergänzung zum ProstG: Sie unterfüttern den staatlich verordneten Sondervorbehalt der Freiwilligkeit bei der rechtlichen Regelung von Prostitution durch eine Benennung der Zwänge, von denen sich diese Freiwilligkeit abzuheben habe. Die strafrechtliche Konstruktion der Zwänge, vor denen Prostitution vermeintlich bewahrt werden muss, offenbart, in welchem Maße die der rechtlich geschützten Prostitution abverlangte „Freiwilligkeit“ obrigkeitsstaatlich verordnet und vorbestimmt ist. Die rechtliche Konstruktion prostitutions-spezifischer Zwangslagen im Strafrecht ist Rahmen und zugleich Maß für die der Prostitution im ProstG staatlich zugebilligte Freiheit. Sie verdeutlicht erneut eine sich fortsetzende, dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz widersprechende Sonderbehandlung von Prostitution.
- Die gängige Rede von „Zwangsprostitution“ erwächst auf diesem Hintergrund, aber sie thematisiert ihn nicht, deckt ihn nicht auf. Daher sind Kampagnen gegen Zwangsprostitution reaktionäre Unternehmungen, an denen man sich nicht beteiligen sollte. Die Rede von „Zwangsprostitution“ richtet sich gegen die Prostitution selbst. Es ist ein reaktionärer Diskurs, von den herrschenden Eliten gegen die Rechte von Prostituierten instrumentalisiert. Deshalb erfreut er sich großer Beliebtheit bei allen Konservativen, von kirchlichen Kreisen bis zum Polizeiapparat.
- Wer den Diskurs um Zwangsprostitution in Frage stellt, wird nicht selten der Beschönigung von Machtverhältnissen in der Prostitution bezichtigt. Das ist natürlich grober Unfug. Sollte im Kontext wirtschaftlicher Betätigung Zwang zur Anwendung kommen – was weder in einer Fabrik noch in einem Bordell ausgeschlossen werden kann - ,so würde es sich um „außerökonomischen Zwang“ handeln, der darauf abzielt, die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit anderer unzulässig und daher unrechtmäßig einzuschränken. Das ließe sich problemlos durch Rückgriff auf bestehende Straftatbestände und Arbeitsrecht etc. ahnden, ohne dass dazu ein Sonderstrafrecht notwendig wäre, ohne dass es nötig wäre, in interessierter Weise permanent Prostitution mit „Zwang“ und „Gewalt“ zu assoziieren.
11. Die Verweigerung der „Opfer“
Die von mir vorgetragene These lautet, dass exklusiv im Falle von Prostitution durch die unzulässige Gleichsetzung von „Zwang“ und „Notwendigkeit“ das Ausmaß tatsächlicher Zwangslagen im Prostitutionsgewerbe künstlich aufgebauscht wird, um von „Zwangsprostitution“ reden zu können.
Ich will gar nicht behaupten, dies würde durchgängig bewusst so gemacht. Sicherlich gibt es eine Täuschung der Öffentlichkeit von Leuten, die es besser wissen (z.B. aus dem Polizeiapparat). Aber es gibt auch eine Art kollektiver Selbsttäuschung, die die feste Überzeugung kultiviert, entsprechend dem unterstellten weit verbreiteten Zwang in der Prostitution müssten auch viele „Opfer von Zwangsprostitution“ zu erwarten sein.
Dem ist aber nicht so. Denn die Rechnung der Ideologen wurde ohne die betroffenen Frauen gemacht, die sich schlicht weigern, die ihnen zugedachte Rolle des „Opfers“ mitzuspielen. Immer wieder wird mit großem Erstaunen registriert, dass Frauen, die von weit her in die Prostitution migriert sind, jegliches Opferbewusstsein fehlt, das man doch glaubt, bei ihnen erwarten zu dürfen. Entsprechend groß ist die Ent-Täuschung. Zum Beleg meiner Sichtweise möchte ich einfach mal andere zu Wort kommen lassen.
- Z.B. die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Sie konstatierte bereits 1997, „dass Frauen in vielen Fällen nicht bereit sind, sachdienliche Angaben zu machen, oder ein Vorgehen nach Maßgabe des Runderlasses nicht wünschen.“ Daran „konnte teilweise auch durch umfassende Betreuung der Frauen von Seiten der Polizei- und Sozialbehörden nichts geändert werden“. Und was soll die Ursache dafür sein? Antwort: Eine „Verdrängungs- und Verharmlosungshaltung ... gegenüber der eigenen Unterdrückung“. Man muss schon vom eigenen Weltbild sehr überzeugt sein, wenn man glaubt, sich solch dürftiger Erklärungsmuster bedienen zu können.
- Eine weitere Feststellung: „Opfer von Menschenhandel sagen bei Vernehmungen nach Polizeirazzien häufig aus, dass sie freiwillig der Prostitution nachgegangen sind, weil sie durch die Drohungen der Menschenhändler geängstigt sind und starke Repressionen befürchten…. Auch bei einfühlsamen Vernehmungen durch die Polizei bleiben sie bei ihrer Aussage.“
- Eine weitere Feststellung: „Werden die Frauen, wie es die Regel ist, von der Polizei bei einer Razzia angetroffen, erzählen sie ... ihre wahre Geschichte nicht.“
- Noch eine Feststellung: So stellte BAN YING / Berlin 1998 fest, dass die von ihr betreuten Frauen kaum in der Lage seien „ein Bewusstsein über das ihnen zugefügte Unrecht zu entwickeln, das essentiell ist für die Bereitschaft auszusagen.“
- Ein weiteres Zitat: „Viele Prostituierte begreifen auch nicht, dass sie Opfer sind“, so Uta Ludwig von der Beratungsstelle BELLA DONNA aus Frankfurt/Oder.
- Oder die Beratungsstelle FRANKA / Kassel in ihrem Jahresbericht 2005: Die Frauen würden allesamt ‚gebrieft’ wirken. Sie hätten „kaum ein Bewusstsein dafür, dass sie ausgebeutet und Opfer einer Straftat sind.“
- Und in der Anhörung vor dem Sächsisch-Anhaltinischen Landtag erklärte Frau Hettner, eine Mitarbeiterin der Beratungsstelle VERA aus Magdeburg, „die Frauen erkennen womöglich die Situation des Zwanges bzw. der Ausbeutung nicht und sind den Tätern noch für ihre Hilfe dankbar.“
Diese Beispiele stammen aus der lesenswerten Publikation von Philipp Thiée „Menschen Handel – Wie der Sexmarkt strafrechtlich reguliert wird, Berlin 2008, S. 183 ff. Dort finden Sie auch die entsprechenden Quellenangaben.
Ich könnte die vorgenannte Liste beliebig fortsetzen, aber ich belasse es dabei. Wichtig scheint es mir, einen Blick in die bundesdeutsche Kriminalstatistik zu werfen. Wie steht es da mit den angeblich so vielen Opfern von „Zwangsprostitution“?
12. Zahlen zu „Zwangsprostitution“
Da es einen juristisch definierten Begriff von „Zwangsprostitution“ gar nicht gibt, bezieht man sich hilfsweise auf die Opferangaben von §180a StGB (Ausbeutung von Prostituierten), §181 a StGB (Zuhälterei) bzw. von § 232 StGB (Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung).
Vorzugsweise der erst 1973 ins Strafrecht aufgenommene Straftatbestand „Menschenhandel“ soll als Synonym für „Zwangsprostitution“ gelten. Sehen wir, was die offizielle Polizeiliche Kriminalstatistik dazu sagt:
- Die höchste Zahl der jährlichen Opfer von „Menschenhandel“ konnte man 1997 mit 1.425 Opfern vorweisen. Im Jahr 2010 waren es nur noch 761! Die Zahl hat sich also binnen anderthalb Jahrzehnten nahezu halbiert.
- Dabei handelt es sich wohlgemerkt um „mutmaßliche Opfer“: Die Polizei nimmt diese Zählung auf der Grundlage von Anzeigen vor. Ob diese Anzeigen vor Gericht zu Verurteilungen führen, ob es sich also erwiesenermaßen um Opfer handelt, ist damit gar nicht erwiesen. Doch dazu später.
- Die Zahl derjenigen unter den Opfern von Menschenhandel, bei denen nach Angaben der Polizei Gewalt, Drohung oder körperliche Misshandlung vorlag, belief sich 2010 auf einen Bruchteil, nämlich 159 der insgesamt 761 Opfer. Nimmt man die letzten 5 Jahre der Statistik, so lag der Anteil der Frauen, die den „harten Kern“ tatsächlicher Zwangs- und Gewalteinwirkung repräsentieren, bei durchschnittlich 16,5% aller mutmaßlichen „Opfer von Menschenhandel“ – das sind ca. 135 Frauen pro Jahr.
- Diese Frauen sind aber deswegen keineswegs „Zwangs-prostituierte“, sondern sie sind Opfer von Misshandlung, körperlicher Gewalt, Nötigung, Vergewaltigung etc., Straftaten, denen Frauen ausgesetzt waren, die zwar in der Prostitution arbeiten, die aber deshalb keinesfalls prostitutionsspezifisch sein müssen, wie es die Wortschöpfung „Zwangsprostitution“ suggeriert. Schließlich würde niemand eine Verkäuferin, die von ihrem Chef geschlagen, von einem Kollegen vergewaltigt oder von ihrem Freund genötigt wurde, als „Zwangsverkäuferin“ bezeichnen.
- In den letzten 5 Jahren wurden jedes Jahr im Schnitt 43,5% aller so genannten Opfer von Menschenhandel nur deshalb so genannt, weil sie der Altersgruppe von 18 bis 21 Jahren angehört haben. Hier ist Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit kein individuelles Täter-Opfer-Verhältnis, sondern die bloße Zugehörigkeit zu einer Altersgruppe. Trotzdem spricht man von „Menschenhandel“, auch wenn die betreffende Frau freiwillig und zufrieden der Prostitution nachgeht. Zwang und Gewalt müssen hier nicht vorliegen.
- Versucht man den von den mutmaßlichen zur Zahl der tatsächlichen Opfer von Menschenhandel zu kommen, muss man sich an die Verurteiltenstatistik des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden halten. Bei „Menschenhandel“ ist das Täter-Opfer-Verhältnis seit Jahr und Tag 1:1. Verurteilt wurden in den vergangen 11 Jahren im Schnitt pro Jahr 130 Täter, bei einem Verhältnis von 1:1 wären dies eben rund 130 gerichtlich festgestellte so genannte „Opfer von Menschenhandel“ pro Jahr.
- Und jetzt bitte ich Sie, diese Zahl mal in Relation zur Gesamtzahl der in Deutschland tätigen Prostituierten zu setzen. Diese Zahl kennt man nicht. Aber gehen wir mal nicht von den bekannten 400.000 Frauen aus, sondern von konservativ geschätzt der Hälfte, also 200.000 in der Prostitution tätigen Frauen in Deutschland, so sind pro Jahr 0,0065 % der Frauen nach den Maßstäben dieser Gesellschaft und ihrer Rechtsprechung in etwa das, was man sich unter einer „Zwangsprostituierten“ vorstellt. Mit anderen Worten: 99,935 % aller arbeitenden Frauen sind keine „Zwangsprostituierten“!
Als Ergebnis kann man festhalten, dass – bei Licht betrachtet - es sich hierbei um eine Größenordnung im Promillebereich handelt, nicht aber ein gesellschaftlich relevantes Phänomen. Für eine Dramatisierung besteht keine Veranlassung.
Die Rede von ‚Zwangsprostitution’ und ‚Menschenhandel‘ verweist auf Fälle arbeitsrechtlich relevanter Verstöße (z. B. Einbehalten von Lohn, unzumutbare Arbeitsbedingungen etc.) oder strafrechtlich relevanter Verstöße (wie etwa sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, Körperverletzung etc.). Das vorhandene Straf- bzw. Arbeitsrecht reicht völlig aus, um derartige Verstöße zu ahnden. Ein Sonderstrafrecht ist dagegen ebenso überflüssig, wie solche speziell dem Beruf Prostitution zugeordneten Wortschöpfungen wie „Menschenhandel“ und „Zwangsprostitution“.
Deshalb lehnen wir die Rede von „Menschenhandel“ und „Zwangsprostitution“ ab. Denn die Begriffe sind nicht aufklärerisch. Sie nutzen nicht den Interessen der Betroffenen. Wem aber dann?
13. Kampf gegen Zwangsprostitution und Migrationsabwehr
Die Wiederbelebung des Themas „Frauen-“ bzw. „Menschenhandel“ seit Beginn der 90er Jahre findet in Europa in einem historischen Kontext statt, der gekennzeichnet ist durch die Kombination von anhaltender Massenarbeitslosigkeit und zunehmendem Migrationsdruck.
Unter dem Etikett „Bekämpfung des Menschenhandels“ geht es vor allem um eine Abwehr von irregulärer Migration. „Sensibilisierungskampagnen“ gegen Menschenhandel sollen vor den „Risiken der illegalen Einwanderung“ warnen, heißt es in EU-Dokumenten. Das 2002 publizierte ‚Grünbuch über eine Gemeinschaftspolitik zur Rückkehr illegal aufhältiger Personen’ kündigte an – ich zitiere -, dass „illegale Migranten … durch effizientere gemeinsame Maßnahmen zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität und des Menschenhandels abgeschreckt“ werden sollen.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass es bei der Bekämpfung des Menschenhandels nicht um Opferschutz, sondern um den Schutz des Staates vor illegaler Migration geht. Das „Konstrukt Menschenhandel“ verleiht dabei der Bekämpfung von Migration den Schein und die höhere Weihe eines Kampfes um die Einhaltung von Menschenrechten, obwohl es in Wirklichkeit um die Schaffung gesellschaftlicher Akzeptanz für einen repressiven Umgang mit Migranten geht, wenn man den Reichtum der Wohlhabenden vor der Armut der Habenichtse schützt.
Rassismus ist auch mit gutem Gewissen möglich - das ist die eigentliche Kernaussage, die sich hinter der Konstruktion von Menschenhandel verbirgt.
Die Anti-Frauenhandels-Politik zielte schon in früheren Zeiten auf eine Kontrolle weiblicher Sexualität durch Bekämpfung von Prostitution. Das Besondere an der heutigen Situation ist, dass repressive migrationspolitische Strategien mit konservativen sexualpolitischen Interessen verbunden werden. Letztere verdichten sich in den „Kampagnen gegen Zwangsprostitution“.
So bezeichnete die ‚Brüsseler Erklärung’ der EU von 2002 die „Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen“ als eine der Wurzeln von Menschenhandel und empfahl den Regierungen, die „Ausbeutung durch Prostitution zu verbieten“ und die „Sexund Arbeitsmärkte einer deutlich sichtbaren Überwachung“ zu unterstellen.
Im Jahre 2006 nannte das Europäische Parlament die „Existenz lokaler Prostitutionsmärkte“ eine „der wichtigsten Voraussetzungen des internationalen Handels mit Frauen und Kindern“. Die europäischen Regierungen müssten sich endlich die „aufgrund der Prostitution in ihrem Staatsgebiet sich stellenden Probleme ernsthaft angehen.“
Angeblich würde die Legalisierung von Prostitution den Menschenhandel erleichtern. Daher forderte bereits die ‚Brüsseler Erklärung’ der EU von 2002 - ich zitiere -: „Wesentliches und gemeinsames Ziel der Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels sollte die Verringerung der Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen und billigen Arbeitskräften sein.“
Unter dem gemeinsamen Dach der „Bekämpfung von Menschenhandel“ versammelt sich eine konservative Regenbogenkoalition und bündelt so ihre migrations-, sexual- und ordnungspolitischen Interessen.
Die Verfechter dieser Politik sind die Gremien und Institutionen der EU mit den nationalen Regierungen im Schlepptau, die nationalen und internationalen Polizeibehörden mit den Institutionen der Justiz im Schlepptau und schließlich die Kirchen mit ehemals feministischen bzw. Dritte-Welt-bewegten Frauengruppierungen im Schlepptau.
Diese unheilige Allianz bedient sich des ideologischen Konstrukts ‚Menschenhandel’, und seines Zwillings, der so genannten „Zwangsprostitution“, um eine dramatisierende Wahrnehmung von Migration, insbesondere von weiblicher Migration, zu befördern.
Die Nutznießer dieser Politik sind jedenfalls nicht die Betroffenen selbst.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Quelle: Dona Carmen e.V.
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