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Zwangsprostitution - Bei der modernen Sklaverei versagt unser Staat

Zwangsprostitution

Bei der modernen Sklaverei versagt unser Staat

Der Staat tut zu wenig gegen Missbrauch und Menschenhandel: Die Opfer werden nicht ausreichend unterstützt, und Bordelle werden in Deutschland schlechter kontrolliert als Eckkneipen.

Es gibt Filme, die sollten kein Happy End haben. Die "Operation Zucker", ausgestrahlt im Ersten in dieser Woche, ist so ein Film. In der jugendfreien Version schafft es die Hauptdarstellerin Fee, eine zehnjährige Rumänin, in die Obhut einer engagierten Polizistin, Täter werden gefasst. Wer dann die Originalfassung zu Ende sieht, wird mit einer schockierenderen Version konfrontiert. Fee wird erneut von ihrem Peiniger entführt. Ende offen.

Diese Version kommt der Realität viel näher. Denn für die meisten Opfer von Menschenhandel gibt es kein Happy End. Sie werden für immer zerstört. Und selbst wenn die kleine Fee gerettet worden wäre: Das, was sie ertragen musste, würde sie nie mehr hinter sich lassen können.

Wie tief sich die Prostitutionserfahrung in die Seele eines jungen Menschen hineinfrisst, haben wir vor zweieinhalb Jahren mit unserem Titelthema "Wegwerfmädchen" dokumentiert. "Yamina", wie wir unsere Protagonistin nannten, wurde zwar gerettet. Eine Therapie lehnt die inzwischen volljährige Nigerianerin aber weiterhin ab. Ihre Erlebnisse als 15-jähriges Mädchen im Laufhaus in der rheinischen Provinz hat sie weggesperrt.

Missbrauch passiert Tag für Tag

Das Filmopfer Fee und das wirkliche Opfer Yamina zeigen aber auch, wie differenziert Kinderprostitution behandelt werden muss. Im Fall Yamina fälschten die Schlepper ihren Pass, machten sie älter, so dass sie sich in einem öffentlichen Laufhaus in einer rheinischen Stadt prostituieren musste. Direkt gegenüber einem Baumarkt, für 30 Euro pro Freier. Die zehnjährige Fee hingegen endete in einem ganz und gar illegalem Pädophilen-Etablissement.

Beide Fälle sind Realität in Deutschland, der Missbrauch passiert Tag für Tag tausende Male. Die Lösung des Problems ist nicht, Prostitution pauschal zu verbieten. Das würde nur Kriminellen zuarbeiten, die mit illegalen Geschäften viel Geld verdienen – ähnlich wie im Drogenhandel. Es gäbe auch ohne generelles Verbot Möglichkeiten, sexuelle Ausbeutung von Kindern und Frauen wirksamer zu bekämpfen als bisher – auf verschiedenen Ebenen.

Laufhäuser sollten verboten sein

Der einfachere Fall, wenn man hier von "einfach" reden kann, ist Yamina. Es ist Realität in Deutschland , dass Bordelle schlechter kontrolliert werden als Eckkneipen. Denn Laufhäuser sind meist Stundenhotels. Die Frauen mieten die Zimmer, sie müssen dafür nur dokumentieren, dass sie alt genug sind. Hat der Laufhaus-Betreiber das überprüft, ist er fein raus.

Es wäre für den Staat relativ einfach, diese Form von Missbrauch und Menschenhandel einzuschränken. Laufhäuser sollten verboten sein, stattdessen sollte es scharf kontrollierte Bordelle geben, deren Betreiber viel stärker in die Verantwortung und Haftung genommen werden könnten. Die Etablissements müssten ständig überwacht werden - zum Schutz der jungen Frauen und auch Männer, die dort arbeiten. Zuhälterei wiederum gehört verboten und streng geahndet.

Der kompliziertere Fall ist der Kampf gegen die Pädophilen-Mafia. Die agiert in einem Milieu, zu dem nur Eingeweihte Zutritt haben. Darum ging es bei Fee. Hier wird das Staatsversagen ganz besonders deutlich: Die meisten Polizeistellen haben nicht einmal genug Mitarbeiter, um in legalen Laufhäusern Razzien zu machen. Wenn Beamte von Menschenhandelsopfern wissen, diese aber nicht befreien, weil sie die Fälle gar nicht mehr aufarbeiten können, dann läuft etwas komplett falsch in unserem Land.

Moderne Sklaverei

Genauso wichtig ist im zweiten Schritt die Betreuung: Prostitutionsopfer müssen anders behandelt werden als gewöhnliche Opfer von Diebstahl oder Gewalt. Das Misstrauen und die Zweifel, die ihnen entgegenschlagen, stehen oft einer vernünftigen Strafverfolgung im Weg. Zudem müssen die Opfer meist fürchten, wieder in die Hände ihrer Peiniger zu geraten.

Yamina hat bis heute davor Angst. Deshalb nennen wir weder ihren richtigen Namen noch ihren Wohnort. Und Menschen wie Yamina muss die Furcht genommen werden, abgeschoben zu werden. Haben sie den Mut gefasst auszusagen, dann sollten sie über Jahre intensiv betreut und integriert werden.

All das setzt ein tieferes gesellschaftliches Bewusstsein für diesen Skandal unter uns voraus. Bislang ist der Kampf gegen die moderne Sklaverei ein Randthema, für das sich kaum ein Politiker interessiert. Das liegt an Unwissenheit, wohl aber auch daran, dass es zu viele Beteiligte in allen Schichten gibt. Es fehlt das Verständnis, die gesellschaftliche Ächtung. Es ist eben kein Kavaliersdelikt, wenn man sich im Laufhaus an einem Menschenhandelsopfer vergreift und sich damit rausredet, dass man es ja nicht wissen konnte.

Menschenrechtspolitik, das hat der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck gesagt, ist "harte Arbeit". Das gilt für Gesetzgeber, für Staatsanwälte, Richter, Therapeuten und Sozialarbeiter. Opferschutz ist teuer. Aber das sollte es uns wert sein. Alles andere wäre ein Skandal.

Quelle: http://www.welt.de/debatte/article112900895/Bei-der-modernen-Sklaverei-versagt-unser-Staat.html

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